(LK) Nach nun rund zweijährigen Bemühungen ist es gelungen, einen umfangreichen historischen Bestand an medizinischen Krankenakten der Christian-Doppler-Klinik mit den dazugehörigen Bestandsbüchern zu sichern und an das Salzburger Landesarchiv zu übermitteln. Notwendig ist dieses Vorhaben insbesondere deshalb geworden, weil in den Kellerräumen der Christian-Doppler-Klinik Schimmel und Feuchtigkeit problematisch für die Lagerung der Akten waren.

 

 

 

„Mit der Sicherung und Überführung dieses Aktenbestandes konnte eine wertvolle historische Quelle dauerhaft gesichert werden. Trotz der bereits längst abgelaufenen gesetzlichen Aufbewahrungspflicht von 30 Jahren hat der Vorstand der Christian-Doppler-Klinik seine Verantwortung wahrgenommen, die historische Dimension dieser Akten erkannt und die entsprechenden Maßnahmen zur Sicherung eingeleitet. Als Ergebnis der Sicherungsmaßnahmen wurden rund 23.500 Krankenakten und Bestandsbücher zur Überführung in das Salzburger Landesarchiv aufbereitet, wo sie nun unter professioneller archivarischer Obhut aufbewahrt werden. Der dabei entstandene finanzielle und personelle Aufwand wurde von der Christian-Doppler-Klinik getragen, wofür ich mich bedanke“, so Gesundheitsreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Mag. Dr. Christian Stöckl heute, Donnerstag, 26. Februar, bei einem Informationsgespräch im Salzburger Landesarchiv, bei der die letzte Krankenakte übergeben wurde.

Der Zeitraum, über den sich diese Krankenakten in Bezug auf das Aufenthaltsdatum erstrecken, reicht von 1850 bis 1969. Alle Akten ab 1969 wurden im hauseigenen Krankengeschichtsarchiv der SALK elektronisch archiviert. Der Aktenbestand mit dem Aufenthaltszeitraum 1850 bis 1898 ist insbesondere deshalb interessant, weil die Christian-Doppler-Klinik erst 1898 gegründet wurde. Offenbar wurden zur Gründung der Christian-Doppler-Klinik Altbestände an Akten aus der „Irrenanstalt“ im Kammerlohrhof übernommen.

„Mit der Sicherung und Überführung dieses Aktenbestandes konnte eine wertvolle historische Quelle dauerhaft gesichert werden. Diese Krankenakten stellen nicht nur eine wertvolle historische Quelle (z.B. ‚Kriegszitterer‘ nach dem Ersten Weltkrieg, NS-Euthanasie etc.) dar, sondern sie haben auch weiterhin medizinische Bedeutung, beispielsweise bei erblich relevanten Krankheiten. Die Erschließung dieses Quellenbestandes durch eine Datenbank erlaubt es Wissenschaftern allgemein, nicht nur aus dem Bereich der Historiker, eine statistische Auswertung nach verschiedenen Fragestellungen vorzunehmen. Damit können durch die vergleichsweise große Zahl von Einzelfällen wertvolle neue Erkenntnisse gewonnen werden“, erläuterte der Direktor des Salzburger Landesarchivs, Dr. Oskar Dohle.

Die Aufbereitung der rund 23.500 Krankenakten und Bestandsbücher erfolgte in folgenden Phasen:

·         Bergung der Akten aus den Kellerarchiven

·         Gamma-Bestrahlung zur Schimmelabtötung der Akten durch eine Spezialfirma

·         Manuelle Reinigung und Vorsortierung nach Aufenthaltsjahrgang

·         Indexerstellung (Aufenthaltsdatum, Name, Vorname, Geburtsdatum, Aktenzahl) und Feinsortierung nach Aufenthaltsdatum

·         Verpackung in Schachteln des Salzburger Landesarchivs

·         Aktenübermittlung / Transport

Von verwahrten „Irren“ zur modernen Akutpsychiatrie

Mit Gründung der „Irrenanstalt Kammerlohrhof“ (im heutigen Schallmoos) wurde ein erster Schritt gesetzt, psychisch leidende Menschen als Kranke zu sehen und psychische Erkrankungen mit den damaligen medizinischen Möglichkeiten zu behandeln. Mit Gründung der Landesheilanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Lehen wurde 1898 eine für damalige Verhältnisse moderne Nervenklinik gegründet. Trotzdem waren psychisch kranke Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen, die Aufenthaltsdauern im Vergleich zu heute extrem lang. Da es die heute zur Verfügung stehenden Psychopharmaka z.B. zur Depressionsbehandlung bis Ende der 1950er Jahre nicht gab, kamen arbeitstherapeutische und psychoedukative Behandlungsformen zur Anwendung. Insgesamt handelte es sich jedoch um die institutionelle Verwahrung psychisch Kranker bewusst außerhalb der Stadt Salzburg.

Die dunkelste Zeit in der Geschichte der Landesnervenklinik waren jedoch die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. In der T4–Aktion wurden 262 Patientinnen und Patienten der Landesheilanstalt und mindestens 115 Patientinnen und Patienten der Pflegeanstalt Schloss Schernberg getötet, die meisten von ihnen im Schloss Hartheim.

Nach dem Krieg wurde die Landesheilanstalt weitgehend gemieden und hatte nur noch eine Auslastung von unter 50 Prozent. Es ging in Folge darum, nach Exklusion bzw. Tötung psychisch kranker Menschen einen Weg in Richtung Integration dieser Patienten in die Gesellschaft zu entwickeln.

Heimo Gastager war es, der ab 1962 den „Salzburger Weg der Psychiatrie“ begründete und damit versuchte, die Landesnervenklinik als „Endstation Lehen“ in eine moderne Akutpsychiatrie zu verwandeln. Gelichzeitig galt es, die Stellung von stigmatisierten psychisch Kranken in der Gesellschaft zu verbessern. Ein rehabilitativer Ansatz konnte nur in engem Kontakt mit der Gesellschaft verwirklicht werden. In diesem Sinne erfolgte 1974 die Gründung der Pro Mente Salzburg. „Aus heutiger Sicht hat die Psychiatriereform in Salzburg die Situation psychisch Kranker deutlich verbessert, sodass wir heute vor dem nächsten großen Entwicklungsschritt stehen, nämlich am Übergang von der Integration zur Inklusion psychisch kranker Menschen“, so Primar Dr. Reinhold Fartacek, ärztlicher Leiter der Christian-Doppler-Klinik.

Die historischen Krankengeschichten ermöglichen Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wie beispielsweise:

·         Wie haben sich Diagnostik und Therapie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargestellt?

·         Welche therapeutischen Entwicklungen sind in der Dokumentation ersichtlich?

·         Welche Entsprechungen gibt es zwischen damals diagnostizierten Erkrankungen und den heutigen psychischen Störungen?

„Mehrmals jährlich kontaktieren uns auch Angehörige von ehemaligen Patienten. Nach rechtlicher Klärung besteht die Möglichkeit, gemeinsam mit den Angehörigen Krankengeschichten anzusehen und die damals praktizierte Diagnostik und Therapie aus heutiger Sicht verständlich zu machen“, sagte Fartacek.

Gemeinsam von Salzburger Landesarchiv und Universitätsklinikum Christian-Doppler-Klinik konnte die Basis für eine wissenschaftliche Bearbeitung von 23.500 Krankengeschichten geschaffen werden. Die Lagerung unter optimalen klimatischen Bedingungen im Salzburger Landesarchiv schafft die Voraussetzungen dafür. Noch bedeutsamer als das Forschungsinteresse erscheint die fachgerechte Archivierung der Krankenakten jedoch aus Respekt vor den damaligen Patientinnen und Patienten und deren Familien.

Strengste Archivsperre und Forschung unter Auflagen

Fartacek hob hervor, dass diese Akten natürlich einer strengsten Archivsperre unterliegen und mit einer unbefristeten Schutzfrist versehen sind. Auf Grund dieser Schutzbestimmung sind die Krankenakten nicht für die Öffentlichkeit einzusehen. Eine Freigabe zur Einsicht, die sich beispielsweise auf ein Angehörigenverhältnis begründet und schriftlich eingebracht wird, wird nur dann erteilt, wenn sowohl der Ärztliche Direktor der Christian-Doppler-Klinik als auch der Leiter des Salzburger Landesarchivs dieser zustimmen.

„Für die historische Forschung ist nur eine statistisch-anonyme Auswertung möglich. Grundlage dafür ist ein begründetes wissenschaftliches Interesse, beispielsweise über ein Forschungsprojekt, das eine Publikation als Ergebnis aufweisen kann. Bei der Beurteilung der historisch-wissenschaftlichen Relevanz eines Projekts im Zusammenhang mit der Genehmigung der Einsichtnahme kommt dem Direktor des Salzburger Landesarchivs besondere Bedeutung zu. Er entscheidet aber auch in diesem Fall nur gemeinsam mit dem Ärztlichen Direktor der Christian-Doppler-Klinik“, so Archivdirektor Dohle.