Multiple Krisen – Demokratie unter Druck
Erste Ergebnisse Demokratie Monitor 2022
Der Klimawandel, die nach wie vor andauernde Pandemie, die Rückkehr des Krieges
nach Europa, die höchste Inflation seit den 1950er Jahren, nicht enden wollende
Korruptionsvorwürfe – wie es während dieser multiplen Krisen aus Sicht der
Bevölkerung um die Demokratie in Österreich bestellt ist, berichtet der fünfte
Demokratie Monitor. Die diesjährige repräsentative Befragung von 2.164 Menschen
fand zwischen dem 7. September und dem 21. Oktober mittels Telefon- und Online-
Interviews statt.
Zufriedenheit mit dem politischen System weiter im Sinkflug
Im Jahresvergleich ist die Zufriedenheit mit dem politischen System erneut gesunken:
Derzeit denken nur mehr 34% der Menschen, dass das politische System in Österreich
gut funktioniert. Das ist der tiefste Wert seit Erhebungsbeginn 2018 – vor fünf Jahren lag
die Zufriedenheit um 30 Prozentpunkte höher (64%).
Die Vertrauenskrise ist eine Krise der Repräsentation
Auch mit dem Institutionenvertrauen ging es im Jahresvergleich weiter bergab: Der
Bundesregierung vertrauen derzeit 33% (minus 9 Prozentpunkte), dem Parlament 38%
(minus 8 Prozentpunkte) und dem Bundespräsidenten 53% (minus 6 Prozentpunkte).
Im Gegensatz dazu ist das Vertrauen in Justiz, Polizei und Behörden über die fünf
Erhebungsjahre hinweg konstant geblieben. Der Vertrauensverlust trifft also in erster
Linie die demokratisch gewählten Vertretungsorgane – das politische System ist mit
einer Krise der Repräsentation konfrontiert. Diese umfasst auch die Parteien: 2018
fanden 13% der Menschen keine Partei, die ihre politischen Anliegen vertritt, inzwischen
sind es 38%.
Bei den dringendsten politischen Anliegen überwiegt die Sorge
Ein weiterer Aspekt des geringen Vertrauens in das politische System: Gerade bei den
für die Menschen besonders wichtigen Themen gelingt es den politischen Akteur:innen
nicht, sie in einer Art und Weise aufzugreifen, die zuversichtlich stimmt. Als ihr derzeit
dringendstes politisches Anliegen nennen die meisten Menschen die Teuerung (42%),
gefolgt von ökonomischer Ungleichheit (20%), dem Klimawandel (15%), dem Krieg in
der Ukraine (14%) sowie Zuwanderung und Integration (13%).1 In Bezug auf all diese
Themen sind sie in erster Linie besorgt, zu beträchtlichen Teilen auch verärgert.
Bereits vor den jüngsten Chat-Protokollen hat die Mehrheit vermutet, dass Politik
und Medien unter einer Decke stecken
Seit vielen Monaten reißt die Debatte um Chat-Affären und Korruption nicht ab. Die
Erhebung zum Demokratie Monitor 2022 wurde kurz nach Bekanntwerden des Antrags
auf Kronzeugenstatus von Thomas Schmid abgeschlossen – Auswirkungen der
jüngsten Debatten um die Chat-Protokolle sind daher nicht abgebildet. Jedoch stimmte
bereits zum Zeitpunkt der Befragung eine Mehrheit von 59% der Aussage zu, dass
„Politik und Medien unter einer Decke stecken“.
Systemvertrauen in den mittleren & oberen Etagen der Gesellschaft eingebrochen
Die Zufriedenheit mit dem politischen System und das Institutionenvertrauen sind in
allen Bevölkerungsgruppen gesunken. Entlang der ökonomischen Lage sticht jedoch
eine spezifische Entwicklung hervor: Im unteren Drittel2 fällt die Zufriedenheit über alle
Erhebungsjahre hinweg gering aus und schwankt auch weniger. Im Gegensatz dazu hat
sich im mittleren Drittel die Zufriedenheit innerhalb der letzten fünf Jahre halbiert: Waren
2018 66% davon überzeugt, dass unser politisches System gut funktioniert, sind es
derzeit nur mehr 34%. Auch im oberen Drittel ist das Ausmaß der Zufriedenheit von
85% im Jahr 2018 auf derzeit nur mehr 45% gefallen. Der massive Rückgang des
Systemvertrauens ist also vor allem durch dessen Einbruch in den mittleren und oberen
Etagen der Gesellschaft bedingt.