Betretungsverbot für Sportbetriebe und Auskunftspflicht von Gastronomen waren gesetzwidrig – „Distance Learning“ war gerechtfertigt

Einige heute zugestellte Entscheidungen des VfGH betreffen Maßnahmen gegen COVID-19, die im Vorjahr gegolten haben.

In seinen Entscheidungen drückt der VfGH aus, welche verfassungsrechtlichen Schranken die zuständigen Behörden bei Maßnahmen gegen COVID-19 zu beachten hatten und haben. Entscheidungen des VfGH wirken sich jedoch nicht auf Vorschriften aus, die erst nach der Entscheidung in Kraft getreten sind: Der VfGH ist verpflichtet, jede einzelne angefochtene Regelung neu zu prüfen, auch wenn sie einen ähnlichen Inhalt wie eine frühere hat.
Betretungsverbot für Sport- und Freizeitbetriebe 2020: Regelung war gesetzwidrig, da nicht ausreichend begründet

Eine im Frühjahr 2020 geltende COVID-19-Maßnahmen­verordnung (BGBl. II 96/2020) bestimmte, dass das Betreten von Sport- und Freizeitbetrieben untersagt ist.

Der Inhaber eines Fischteiches erhielt auf Grund dieses Verbots von der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld eine Strafe, weil er nicht dafür gesorgt hatte, dass sein Gelände nicht von fremden Personen betreten wird. Der Inhaber beschwerte sich beim Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG). Dieses wiederum stellte beim VfGH den Antrag auf Feststellung, dass dieses Betretungsverbot gesetzwidrig war.

Eine Verordnung darf nur auf Grund eines Gesetzes erlassen werden. Lässt das Gesetz der verordnungserlassenden Behörde einen gewissen Spielraum, muss diese genau darlegen, auf Grund welcher tatsächlichen Umstände sie die Maßnahmen in der Verordnung erlassen hat.

Das LVwG hatte daher das Bedenken, dass das angefochtene Betretungsverbot vom Gesetz nicht gedeckt sei; darüber hinaus sei diese Regelung nicht hinreichend genau, sodass ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vorliege.

Der VfGH hat diesem Antrag stattgegeben und entschieden, dass die angefochtene Regelung gesetzwidrig war. Die vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vorgelegten Verordnungsakten lassen nämlich nicht erkennen, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 dafür ausschlaggebend waren, das Betreten von Freizeit- und Sportbetrieben zu untersagen. Eine entsprechende Dokumentation ist jedoch Voraussetzung dafür, dass der VfGH beurteilen kann, ob die Verordnung der gesetzlichen Grundlage im COVID-19-Maßnahmengesetz entspricht. Der VfGH folgt damit den Leitentscheidungen vom Juli 2020 (vgl. VfGH 14.7.2020, V 411/2020).

(V 530/2020)
Pflicht zur Auskunft an Gesundheitsbehörde bei COVID-19-Verdachtsfällen war gesetzwidrig, da nicht ausreichend begründet

Auf Grund einer Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom September 2020 waren Betriebsstätten wie z.B. Gasthäuser verpflichtet, der Bezirks­verwaltungs­behörde bei Verdachtsfällen von COVID-19 bestimmte personenbezogene Daten (etwa von Kunden) zu übermitteln. Die Verordnung war bis 31.12.2020 in Kraft.

Der Antragsteller, Inhaber eines Restaurants in der Wiener Innenstadt, hielt diese Verordnung aus mehreren Gründen für gesetzwidrig: Eine solche Auskunftspflicht habe keine gesetzliche Grundlage, zudem verstoße sie gegen das Grundrecht auf Datenschutz, das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung und den Gleichheitsgrundsatz.

Der VfGH hat dem Antrag aus folgendem Grund stattgegeben:

Die vorgeschriebene Datenerhebung und ‑übermittlung stellte einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz dar. Bei Maßnahmen, die zu einem solchen Grundrechtseingriff führen, ist es erforderlich, dass die Behörde aktenmäßig nachvollziehbar macht, auf Grund welcher tatsächlichen Umstände sie die betreffende Maßnahme für erforderlich und insgesamt angemessen hält. Da diese Entscheidungs­grundlagen nicht erkennbar waren, verstieß die angefochtene Regelung gegen das Epidemiegesetz 1950; der VfGH hat daher festgestellt, dass diese Regelung gesetzwidrig war.

(V 573/2020)
Ortsungebundener Unterricht („Distance learning“) vom 17. November bis 6. Dezember 2020 war gesetzeskonform

Mehrere Schülerinnen und Schüler haben beantragt, eine Verordnung zu prüfen, wonach der Unterricht an Schulen vom 17. November bis 6. Dezember 2020 in ortsungebundener Form organisiert war, also als „Distance learning“. Die entsprechenden Regelungen der COVID-19-Schulverordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung hätten sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das Grundrecht auf Bildung verstoßen.

Der Verfassungsgerichtshof hat diese Anträge als unbegründet abgewiesen.

Eine Organisation des Unterrichts in ortsungebundener Form führt zu großen Belastungen für die Schülerinnen und Schüler, die Erziehungsberechtigten und das Lehrpersonal; insbesondere kann diese Form des Unterrichts den verfassungsrechtlichen Bildungsauftrag der Schule auf Dauer nicht erfüllen.

Angesichts der wissenschaftlich belegten Unsicherheit über die Verbreitung von COVID-19, der epidemiologisch nachgewiesenen Lage zum Entscheidungszeitpunkt sowie insbesondere der Möglichkeit der pädagogischen Betreuung am Schulstandort war die Anordnung von ortsungebundenem Unterricht für den Zeitraum vom 17. November bis 6. Dezember 2020 – und nur für diesen Zeitraum hatte der Verfassungsgerichtshof die Maßnahme zu beurteilen – aber sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig.

Die angefochtenen Regelungen der COVID-19-Schulverordnung verstießen auch nicht gegen das Grundrecht auf Bildung nach Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieses Grundrecht gewährt kein (ausnahmsloses) Recht auf Präsenzunterricht.

(V 574/2020 u.a. Zlen.)