Mutationen erkennen, sie nachweisen und eingrenzen – diese Ziele verfolgt der Molekularbiologe Andreas Bergthaler mit seinem Team. Er ist einer von vier frisch geförderten Forschenden, die mit Mitteln des Wissenschaftsfonds FWF ihre Corona-Forschung weiter ausbauen. Studien zur Belastung von Familien, den Auswirkungen der Pandemie auf Menschen mit Behinderungen sowie ein Forschungsprojekt, um COVID-19-Krankheitsverläufe besser vorhersehen zu können, starten ebenso.
Mit den Förderungen des Wissenschaftsfonds FWF macht es Österreich seinen Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern möglich, die Corona-Pandemie und ihre Folgen zu erforschen. In den letzten Monaten konnten 19 Forscherteams im Rahmen der SARS-CoV-2-Akutförderung loslegen, jetzt kommen vier weitere FWF-geförderte Teams dazu: die Naturwissenschaftlerin Alice Assinger von der Medizinischen Universität Wien, der Mikrobiologe Andreas Bergthaler vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Bildungswissenschaftler Oliver Koenig von der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten und die Familiensoziologin Ulrike Zartler von der Universität Wien.
Grundlagenforschung hilft, die Pandemie besser zu managen
„Wir wissen bereits einiges über Corona, aber noch lange nicht alles. Forschende wie Andreas Bergthaler arbeiten seit Wochen unermüdlich daran, diese Wissenslücken zu schließen. Seine Arbeiten und die Expertise unzähliger Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bereichen tragen dazu bei, das Virus, die Krise und ihre Folgen besser verstehen zu können“, so Bundesminister Heinz Faßmann anlässlich der jüngsten Förderzusagen an Top-Forschende durch den Wissenschaftsfonds FWF.
„Wir ermöglichen es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Disziplinen, ihre Corona-Forschung auf höchstem Qualitätslevel zu intensivieren. Aufbauend auf ihren Ergebnissen können Politik und Gesellschaft Antworten auf die aktuelle Krise, aber auch für künftige Herausforderungen finden“, so der interimistische FWF-Präsident Gregor Weihs.
Seit dem Beginn der Pandemie reichten im Rahmen des Corona-Akutverfahrens 205 Forschende Förderungsanträge mit einem Volumen von 68 Millionen Euro beim Wissenschaftsfonds FWF ein. Davon konnten bis dato 23 Projekte aufgrund ihrer wissenschaftlichen Exzellenz bewilligt werden.
Andreas Bergthaler, CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin, Österreichische Akademie der Wissenschaften, 490.000 Euro Förderungssumme
Der Molekularbiologe Andreas Bergthaler leitet jenes Team, das in Österreich SARS-CoV-2 Viren im großen Stil sequenziert und die Verbreitung von Mutationen analysiert. Bereits im Herbst 2020 publizierte die Gruppe im renommierten Journal Science Translational Medicine eine vielzitierte Studie zum Mutationsverhalten von SARS-CoV-2. Ihre Forschung gibt Auskunft, wie und wo sich Mutationen des Coronavirus in Österreich verbreiten. Mit der Akutförderung des FWF kann Andreas Bergthaler seine Forschung weiter vertiefen, um die Ausbreitung des Virus und seiner Mutationen noch besser verstehen zu können. Die Erkenntnisse verbessern die Wissensgrundlage für künftige Maßnahmen zu Eindämmung der Pandemie.
Bessere Prognose von COVID-19-Krankheitsverläufe
Alice Assinger, Institut für Gefäßbiologie und Thromboseforschung des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien, 290.000 Euro Förderungssumme
Die COVID-19-Pandemie stellt eine komplexe Herausforderung für das Gesundheitswesen dar. Damit Patient/inn/en besser versorgt werden können, werden dringend Biomarker und Diagnostika für die individuelle Risikoeinschätzung eines schweren Krankheitsverlaufs benötigt. Seit Beginn der Pandemie erforscht die Naturwissenschaftlerin Alice Assinger neue Biomarker und arbeitet eng mit der Klinik Favoriten, der Medizinischen Universität Innsbruck, der Johannes Kepler Universität Linz sowie dem Karolinska-Universitätskrankenhaus in Schweden zusammen.
Mit der FWF-Akutförderung kann Alice Assinger einen Schritt weiter gehen und zirkulierende mikroRNAs als alternative Biomarker zur Vorhersage des Krankheitsverlaufs untersuchen. Sie können aus wenigen Tropfen Blut gewonnen werden und sind bereits zur Diagnose anderer Krankheiten im Einsatz, jedoch ist ihre Rolle bei COVID-19 noch völlig ungeklärt. Dieses Projekt soll Klarheit darüber schaffen, welche mikroRNAs bei schweren COVID-19-Verläufen verändert sind und somit tiefere Einblicke in das individuelle Krankheitsgeschehen ermöglichen. Eine verlässliche Prognose des Krankheitsverlaufs könnte zu einer personalisierten medizinischen Versorgung beitragen und damit das Gesundheitssystem stark entlasten.
Vulnerabilitäten in Krisenzeiten neu denken
Oliver Koenig, Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten, 398.000 Euro Förderungssumme
Der Bildungswissenschaftler Oliver Koenig von der Bertha von Suttner Privatuniversität nimmt gemeinsam mit Michelle Proyer vom Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien die längerfristigen Auswirkungen auf die Bildungs-, Lebens- und Unterstützungssituation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen in den Blick. Mit partizipativen Methoden werden sie in den nächsten drei Jahren vor allem qualitative Daten sammeln, um die bisherigen Entwicklungen der Pandemie nachzuzeichnen und die Belastungen aus Sicht der Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Deren Blickwinkel blieb im bisherigen Diskurs nahezu unbeachtet, was dazu beiträgt, dass Mechanismen, die soziale Benachteiligung und Diskriminierung bedingen, nicht klar erfasst und in geeigneter Form bearbeitet werden können. In Zusammenarbeit mit Organisationen und Akteur/inn/en aus dem Bereich der Zivilgesellschaft, Menschenrechte und öffentlichen Verwaltung sowie internationalen Expert/inn/en entsteht ein Prototyp für ein Modell eines inklusiven Krisenmonitorings, um Nachwirkungen und zukünftige Herausforderungen durch Krisen nachhaltig und gleichberechtigt bewältigen zu können.
Eltern und die COVID-19-Pandemie
Ulrike Zartler, Institut für Soziologie, Universität Wien, 299.000 Euro Förderungssumme
Die COVID-19-Pandemie stellt Eltern vor enorme Herausforderungen. In ihrer qualitativen österreichweiten Längsschnittstudie „Eltern und die COVID-19-Pandemie“ beschäftigt sich die Familiensoziologin Ulrike Zartler mit den kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf Familien und gibt einen detaillierten Einblick in ihre Lebenswelten im gesamten Verlauf der Pandemie. Diese Studie wird bereits seit der ersten Woche des ersten Lockdowns (März 2020) durchgeführt, zunächst wöchentlich, und seit Sommer 2020 in längeren zeitlichen Abständen. Befragt werden Eltern mit Kindern im Kindergarten- oder Schulalter.
Mit der FWF-Akutförderung können nun die Auswirkungen der Pandemie auf Eltern und ihre Kinder detailliert und im Zeitverlauf analysiert werden. Wie gehen Eltern mit den COVID-19-bedingten Einschränkungen um? Wie organisieren sie Familienalltag, Kinderbetreuung und Berufsarbeit? Welche Veränderungen zeigen sich im Zeitverlauf? Diese Fragen werden von Ulrike Zartler und ihrem Team erforscht. Die Antworten sind essenziell, um zu verstehen, was die Pandemie für Familien bedeutet und welche Unterstützungsmaßnahmen erforderlich wären, um negative Folgen zu minimieren.
FWF-Akutförderung: beschleunigtes Verfahren ohne Qualitätsabstrich
Als unmittelbare Antwort auf die Corona-Pandemie initiierte der FWF im März 2020 die SARS-CoV-2-Akutförderung – ein Fast-Track-Verfahren für Forschungsanträge, die sich mit der Prävention, Früherkennung, Eindämmung sowie Erforschung von SARS-CoV-2 beschäftigen und besonders auf internationale Kooperation setzen. Angesprochen sind darüber hinaus Projekte, die ihr Forschungsinteresse auf technische, ökologische, ökonomische, politische, rechtliche, medizinische, kulturelle, psychologische oder ethische Implikationen von SARS-CoV-2 richten. Die Expertise nahezu aller Fachgebiete der Grundlagenforschung ist in der aktuellen Situation gefragt. Das Fast-Track-Verfahren für Forschungsanträge, die sich mit SARS-CoV-2 beschäftigen, läuft noch bis Ende März 2021.
FWF001 – FWF/Nowotny