Am 21.5.2021 veröffentlichte der Rechnungshof Österreich den Bericht zur „Verringerung der Lebensmittelverschwendung – Umsetzung des Unterziels 12.3 der Agenda 2030“. Die Sachverhaltsdarstellungen sowie die im Rechnungshofbericht geäußerten Empfehlungen decken sich weitgehend mit den langjährigen Forderungen der Wiener Tafel, im Sinne einer effektiven Lebensmittelabfallvermeidung die Lebensmittelweitergabe an soziale Organisationen zu erleichtern. Voraussetzung dafür sind aber eine inhaltliche Zusammenarbeit mehrerer Ministerien, eine genaue Analyse über die gesamte Wertschöpfungskette und eine rechtliche Neubewertung der Tafelarbeit.

Rechnungshofbericht zur Agenda 2030

Prüfungsziel war die Beurteilung der rechtlichen Rahmenbedingungen, der Zuständigkeiten, Strategien und Maßnahmen, der Kooperationen und das Berichtswesen hinsichtlich der Umsetzung der Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Ziel der Agenda ist „Bis 2030 die weltweite Lebensmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die entlang der Produktions- und Lieferkette entstehenden Lebensmittelverluste einschließlich Nachernte-verlusten verringern.“ (Unterziel 12.3 für nachhaltige Entwicklung, Sustainable Development Goals).

Zu viele Lebensmittelabfälle in Österreich

Laut dem Rechnungshofbericht landen jährlich 790.790 Tonnen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen im Müll. Der Rechnungshof empfiehlt dem BMK (Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie), in regelmäßigen Abständen in Einklang mit den EU-Vorgaben Daten zu den vermeidbaren Lebensmittelabfällen entlang der gesamten Lebensmittelkette zu erheben. Der Rechnungshof empfiehlt dem BMK auch in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus sowie dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zu erarbeiten. Dazu müsste es aber alle Sektoren der Lebensmittelkette einbeziehen – also auch Landwirtschaft und Produktion.

Lebensmittelweitergabe wird verhindert

Gemäß Regierungsprogramm 2020–2024 soll es für den Lebensmitteleinzelhandel verboten werden, genusstaugliche Lebensmittel zu entsorgen. Das derzeit in Österreich praktizierte und auf Freiwilligkeit basierende Kooperationsmodell funktioniert laut BMK und den Erfahrungen der Wiener Tafel jedoch sehr gut. Sollte nun aber ein Verbot der Entsorgung von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Lebensmitteleinzelhandel kommen, wäre das fatal. Denn die Weitergabe an NGOs wie die Wiener Tafel unterliegt nach wie vor dem Lebensmittelrecht. Und das bedeutet in der Praxis, dass auch gemeinnützige Organisationen gleich wie kommerzielle „Lebensmittelunternehmen“ bewertet werden. Das verpflichtet z.B. die Wiener Tafel im selben Ausmaß wie ein professionelles Wirtschaftsunternehmen dazu, alle lebensmittelrechtlichen Bestimmungen wie Sicherheit, Hygiene, Vermarktungsnormen und Produktregelungen, Eigenkontrolle und auch Kennzeichnung und Information für einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Es werden also kommerzielle Unternehmen in denselben Topf geworfen, wie gemeinnützige NGOs. Das verhindert bei vielen Lebensmitteln eine schnelle Weitergabe an armutsbetroffene Menschen. So muss z.B. bei gespendetem Backwaren eine vollständige Allergenliste erstellt, bei Obst oder Gemüse eine vollständige Information nach der Vermarktungsnorm geführt und bei der Sortierung von gespendeten Lebensmitteln dieselben Hygieneauflagen erfüllt werden wie in einer Krankenhausküche. Aufgrund solcher lebensmittel- und haftungsrechtlichen Voraussetzungen können und dürfen Lebensmittelunternehmen auch ganze Produktgruppen, wie z.B. Kühlprodukte gar nicht erst an soziale Einrichtungen weitergeben.

Alexandra Gruber, Geschäftsführerin Wiener Tafel und Obfrau des Verbandes der österreichischen Tafeln: „Die Weitergabe von Lebensmitteln muss gesellschaftlich und rechtlich neu bewertet werden. Die Bedeutung von Lebensmittelspenden für Humanität und Klimaschutz, und damit die Bedeutung der Tafeln steigt. Damit wir als gemeinnützige Organisationen aber unsere Arbeit gut machen können, brauchen wir erfüllbare und sinnvolle Rahmenbedingungen. Denn wir arbeiten zu einem großen Teil mit ehrenamtlichen Mitarbeiter*Innen und wir sind von Spenden abhängig. Uns mit gewinnorientierten Lebensmittelunternehmen in einen Topf zu werfen, macht keinen Sinn. Es ist dringend an der Zeit die rechtliche Weitergabe von Lebensmitteln für soziale Zwecke zu vereinfachen! Nur so können wir alle gemeinsam die Lebensmittelverschwendung eindämmen und die Agenda 2030 erfüllen.“

Mag. Andreas Schmölzer, Sachverständiger für Lebensmittelhygiene und Univ. Lektor für Lebensmittelrecht, sieht das ebenso: „Aufgrund falsch verstandener Verwaltungsvorschriften ist das Weitergeben von Lebensmitteln viel komplizierter als das Wegwerfen. Nun allein das Wegwerfen zu verkomplizieren, ist der falsche Weg. Das Weitergeben muss einfacher werden!“ Schmölzer hat darauf bereits im Rahmen des Gutachtens „Vereinfachung der Weitergabe von Lebensmitteln an karitative Organisationen“ hingewiesen.

Vorbild Italien: Good Samaritan Law

Wie das ganz ohne Verbote, dafür mit den nötigen Rahmenbedingungen für NGOs geht, zeigt Italien mit seinem „Gute Samariter Gesetz“ (Good Samaritan Law)*: Es trat in Italien im Jahr 2003 in Kraft und bestand nur aus einem Artikel (Legge del Buon Samaritano – L 155/2003). Nach diesem Gesetz sind Wohltätigkeitsorganisationen, die Lebensmittel sammeln, rechtlich als Konsumenten anzusehen, bleiben aber natürlich für die korrekte Lagerung der gespendeten Lebensmittel und für die Überwachung des Verfallsdatums verantwortlich. In einer vergleichenden Studie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses aus dem Jahr 2014 wird zum Gute Samariter Gesetz ausgeführt: „Nach diesem Gesetz gilt die Lebensmittelbank als Endverbraucher der gespendeten Erzeugnisse. Die Lebensmittelspender haften damit lediglich gegenüber den Lebensmittelbanken für die Nahrungs-mittelsicherheit und die Hygienebedingungen, nicht aber gegenüber dem einzelnen Verbraucher der Produkte der Lebensmittelbank. Da die erforderlichen Rahmenbedingungen für Sicherheit und Hygiene durch die Lebensmittelbanken bei Erhalt der Spenden gewährleistet sind, bietet dieses Gesetz den Spendern nach Ansicht vieler Interessenträger eine zusätzliche Rückversicherung, die Schenkungen fördert, ohne dadurch die notwendigen Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen.“

Sollte dagegen ein „Wegwerfverbot“ für den österreichischen Handel kommen, wären die Ressourcen wie Kühlungs-, Lager- und Verteilungskapazitäten und Mitarbeitende der sozialen Einrichtungen wie z.B. der Wiener Tafel schnell am Limit. Daher empfiehlt der Rechnungshof in seinem Bericht dem BMK, im Falle einer gesetzlichen Verpflichtung der Lebensmittelunternehmen, Lebensmittel an soziale Einrichtungen zu spenden, auch die notwendigen infrastrukturellen, logistischen und finanziellen Rahmenbedingungen mitzubedenken.

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